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Kaufen lassen statt verkaufen – Vertrieb in Zeiten von Social Media


Kaufen lassen

Gastbeitrag von Harald Henn von marketing resultant GmbH

Kein Unternehmen kommt ohne einen systematischen und wirkungsvollen Vertrieb aus. Das Anpreisen der eigenen Produkte und Dienstleistungen über Anzeigen, Radio- , TV-Spots, Mailings; das gezielte Ansprechen von Interessenten um sie von den Vorzügen der eigenen Produkte zu überzeugen und sie zum Kauf zu motivieren gehört ganz selbstverständlich zu unserer jetzigen Wirtschaftskultur. Was nicht heisst, dass die Bemühungen der Vertriebler immer auf breite Gegenliebe stossen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Das monotone und gebetsmühlenartige Wiederholen von Verkaufsbotschaften stösst zunehmend auf Abwehrreaktionen; die Wirkung der Werbung lässt generell nach und vor das agressive und unerlaubte Eindringen der Verkäufer mittels Call Center hat der Gesetzgeber mittlerweile einen Riegel geschoben.

Nun haben einige Unternehmen eine vermeintlich neue und erfolgversprechende Spielweise für wirksame Verkaufskampagnen entdeckt. Social Media Plattformen. Da tummeln sich massenweise Interessenten auf facebook, XING, linkedin und geben ganz freiwillig persönliche Daten, Affinitäten zu bestimmten Produkten frei, die das Herz der Vertriebs- und Marketingleiter höher schlagen lassen. Mit einer passenden Software, die erfolgversprechende Interessenten herausfiltern, lassen sich dann ganz wirksame Kampagnen gestalten. Überhaupt ist Social Media in den Augen vieler Unternehmen nichts weiter als ein zusätzlicher Vertriebskanal. Der twitter oder facebook account transportiert die gleichen Werbe- und Verkaufsbotschaften wie die anderen Medien. Monolog statt Dialog.

Nun ist die Erwartungshaltung der Menschen, die sich einer community anschliessen, auf facebook Nachrichten austauschen, sich mit Freunden unterhalten eine gänzlich andere als beim Lesen einer Zeitung oder vor dem Fernseher. Social Media Plattformen sind von ihrem Verständnis auf Kommunikation der Beteiligten untereinander ausgerichtet; nicht auf Verkaufsmonologe von Unternehmen. Die Abwehrhaltung gegenüber Verkaufskampagnen ist daher umso höher. Was also tun liebe Vertriebsleiter? Dass es auch anders geht soll an zwei Beispielen dargestellt werden.

„Das uralte Dogma die Vertriebs- und Marketing-Prozesse kontrollieren zu wollen, funktioniert im Zeitalter von Social Media ohnehin nicht mehr.“

Da ist zunächst das Unternehmen nakedwines www.nakedwines.com , ein Online Versand für Wein. Nakedwines bietet eine Internet Plattform, die einem Marktplatz vergleichbar ist. Die Winzer werden mit Ihren Produkten vorgestellt und stehen nicht wir sonst üblich anonym im Hintergrund. Und dasselbe gilt für die Kunden. Kunden können auf der Plattform von nakedwines Gruppen gründen – Neueinsteiger, Rotweinliebhaber, Australische Weinfreunde,… – und sich austauschen. Welcher Wein wird empfohlen, welcher Wein passt zu welchem Essen, wie wird das Preisleistungsverhältnis beurteilt, usw. Der eigentliche Kaufprozess, also das Informieren über ein Produkt, die Beurteilung, die Bewertung von anderen Kunden, geschieht direkt unter den Augen des Betreibers auf seiner Plattform. Statt seine Weine permanent anpreisen zu müssen übernehmen die Kunden das Verkaufen. Kaufen lassen – statt verkaufen könnte man das Prinzip umschreiben. Nebenbei können die Kunden dann auch noch direkt über twitter kommunizieren welche Weine sie aus dem Sortiment kaufen oder beurteilen. Auf diese Weise übernehmen sie ganz klassische Marketing-Aufgaben eines Unternehmens. Für einige Unternehmen ist ein solches Konzept der blanke Horror. Man hat ja nicht unter Kontrolle, was Kunden sagen, wie ein Winzer, ein Wein beurteilt wird. Was, wenn ein Produkt schlecht beurteilt wird? Das uralte Dogma die Vertriebs- und Marketing-Prozesse kontrollieren zu wollen, funktioniert im Zeitalter von Social Media ohnehin nicht mehr. Wenn Kunden einen Winzer negativ beurteilen wollen, dann können sie dies auch auf anderen Plattformen tun. Nichts was nakedwines dagegen unternehmen könnte. Aber wozu auch? Viel besser, der Dialog, auch wenn er einmal kritisch werden sollte, findet auf der eigenen Seite statt. So lernt nakedwines welche Produkte von Kunden bevorzugt werden und welche nicht. Ein besseres Prinzip der Sortimentsoptimierung kann man sich kaum vorstellen. Und es gibt auch kaum bessere Verkäufer als Kunden. Die Glaubwürdigkeit eines Kunden könnte niemals von nakedwines in gleichem Umfang erreicht werden. Das Finden und Ansprechen von neuen Interessenten, der eigentliche Auswahlprozess des Weines, das Beurteilen, Weiterempfehlen findet auf einen sanfte Art und Weise statt. Kein Kunde fühlt sich gegängelt und genervt von Werbebotschaften. Und nebenbei spart nakedwines noch eine Menge Geld im Marketing. Schliesslich verkaufen ja die Kunden und gewinnen neue Interessenten. Und das freiwillig und gerne.

„Social Media bietet enorme Chancen für den modernen Verkauf; Das Finden neuer Kunden, das richtige Produktangebot zu schnüren; all dies wird möglich wenn man den Kunden mitspielen lässt…“

Das zweite Beispiel stylefruits http://www.stylefruits.de/ funktioniert nach dem exakt gleichen Prinzip. Wer ist der beste Verkäufer für Damenmode? Die Freundin oder Bekannte. Deren Urteil vertraut man mehr als dem Verkäufer in der Boutique. Und mit Hilfe von Social Media sehr einfach umzusetzen. Man bietet Frauen die Möglichkeit ensembles zusammenzustellen ( Rock, Bluse, Gürtel, Handtasche,..) und diese dann auf der Plattform zu präsentieren. Daumen hoch oder runter; die Bewertungen und Anmerkungen anderer Frauen helfen eine Kaufentscheidung zu treffen. Auch hier verkauft letztendlich der Kunde. Mit einem direkten link auf den Onlineshop kann dann das passende bestellt werden. So einfach geht das.

Social Media bietet enorme Chancen für den modernen Verkauf; Das Finden neuer Kunden, das richtige Produktangebot zu schnüren; all dies wird möglich wenn man den Kunden mitspielen lässt und sich vom alten Dogma verabschiedet alles kontrollieren zu wollen oder zu müssen.

Über den Autor:

114573_05 (2A)Harald Henn, Geschäftsführer Marketing Resultant GmbH, Mainz  optimiert Geschäftsprozesse in Vertrieb, Service, Marketing mit Lean Management Methoden und bietet Best Practice Beratung für Kundenservice und CRM Projekte. http://www.marketing-resultant.de

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Brauchen wir noch ein Customer Relationship Management (CRM)?


Prof. Dr. Heike Simmet

Social Media verändert die Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden grundlegend. Dies betrifft auch die Nutzung von Kundendaten, die traditionell im Customer Relationship Management verarbeitet werden. Ist das klassische Customer Relationship Management heute veraltet? Brauchen wir angesichts der neuen Kommunikationskultur durch Social Media einen anderen Ansatz?

David „Doc“ Searls,  der Mitverfasser des „Cluetrain Manifests“ und Autor des Buches „The Intention Economy: When Customers Take Charge“ fordert in einem Beitrag im Harvard Business Manager vom Februar 2012 Unternehmen dazu auf, mit der Sammlung von Kundendaten endlich aufzuhören.  In einer „Wirtschaft der Absichtserklärung“ werden seiner Ansicht nach die Kunden festlegen, welche Produkte sie kaufen wollen, welchen Preis sie dafür zahlen möchten und welche Grundsätze der Zusammenarbeit sie auch in Bezug auf die Nutzung ihrer Daten  aufstellen.

Trend zur kundengetriebenen Community

Es handelt sich um eine Zukunftsvision, die angesichts des grundlegenden Wandels der Machtverhältnisse zwischen Unternehmen und Kunden aber in gar nicht allzu weit entfernter Zeit Realität werden könnte. Der Trend hin zu einer kundengetriebenen Community wird in vielen Branchen immer deutlicher sichtbar. Unternehmen erkennen zunehmend, dass Kunden sensibler auf eine ungewollte Auswertung ihrer Datenspuren im Netz reagieren und der personalisierten und individualisierten Werbung durch Retargeting kritisch gegenüber stehen. Dieselben Kunden geben ihren bevorzugten  Unternehmen hingegen freiwillig nicht nur ihre persönlichen Daten und Profile, sondern sie engagieren sich aktiv für diese Unternehmen. Die immer stärker genutzte Idee der Einbeziehung des Innovations- und Kreativpotenzials der Kunden in die konkrete Produktentwicklung von Unternehmen durch Crowdsourcing und Open Innovation ist ein deutlicher Beleg für diese Entwicklung.

Welches Unternehmen wird in Zukunft wohl mehr Erfolg aufweisen können: ein Unternehmen, dass eine ungewollte Gewinnung, Analyse und kundenwertgesteuerte Nutzung von Kundendaten in den Mittelpunkt seiner Aktivitäten stellt oder ein Unternehmen, das mit den Kunden in einen echten Dialog tritt, ihn einbezieht und auf diese Weise seine Nutzenerwartungen perfekt erfüllt?

Echter Interaktionsansatz statt Scheindialog gefordert

In Zeiten von Social Media kommt es immer mehr darauf ab, die Zielsetzungen der Unternehmen mit den Nutzenerwartungen der Kunden in Einklang zu bringen. Dies bedeutet, dass ein echter Interaktionsansatz anstelle eines Scheindialogs auf der Basis einer mehr oder weniger guten Kundendatenbank zugrunde liegen sollte.

Ein Social Customer Relationship Management muss vielmehr als ein Interaktionssystem und nicht lediglich als Software mit einem effizienten Social Media Monitoring Tool verstanden werden. Alle kundenbezogenen Funktionen, vor allem Marketing, Öffentlichkeitsarbeit, Kundenservice, Vertrieb und Produktentwicklung sind in einem interaktionsgetriebenen Ansatz zu integrieren. Die Steuerung erfolgt dabei zunehmend durch den Kunden und nicht mehr – wie beim klassischen Customer Relationship Management –  durch das Unternehmen.

In einem so verstandenen Social Customer Relationship Management sorgt der Kunde im eigenen Interesse selber für die Speicherung und Pflege seiner Daten. Eine ungewollte  Nutzung von Kundendaten wird hingegen durch verschärfte Datenschutzregelungen immer schwieriger und durch Verweigerungen der Kunden  zunehmend ineffizient.

Kunde als Teil  des Unternehmens

Erforderlich für die Umsetzung dieser Grundidee eines interaktiven Social Customer Relationship Managements ist ein grundlegender Umdenkprozess in den Unternehmen. Der Kunde muss einen deutlich höheren Stellenwert einnehmen und im Idealfall selbst ein aktiver Teil des Unternehmens werden. Die Grenzen zwischen Kunden und Unternehmen verschwinden auf diese Weise. Der Kunde wird zum Unternehmen. Seine Daten und Profile werden nicht mehr fremdbestimmt genutzt, sondern zur Befriedigung seiner eigenen Nutzenerwartungen eingesetzt.

Über die Autorin: 

Dr. Heike Simmet ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bremerhaven. Sie leitet dort seit 1997 das Labor Marketing und Multimedia (MuM). Darüber hinaus ist sie als Referentin, Dozentin und Beraterin tätig. Auf ihrem Blog http://hsimmet.com veröffentlicht sie Beiträge vor allem zu neuen Informations- und Kommunikationstechnologien im Marketing.

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